Projekt

Indigo

Anbau und Pigmentgewinnung

In unserem Textilgarten, den wir 2021 im Garten der Galerie für Zeitgenössische anlegten, bauten wir neben Flachs und verschiedenen Färbepflanzen auch Färberknöterich (persicaria tinctoria, syn. polygonum tinctorium) an. Aus dessen Blätter wird der Farbstoff Indigo gewonnen. Uns fasziniert die Erzählung des tiefen Blaus, welches in allen Teilen der Erde erzeugt wurde. Menschen färben mit indigohaltigen Pflanzen seit dem Altertum und erzeugen je nach Verfahren unterschiedlich intensive aber immer faszinierende Blautöne, manchmal ins Dunkelgrüne gehend. Dabei gewinnen Färber:innen bis heute natürlichen Indigo aus verschiedenen Pflanzen. Die bekanntesten und ergiebigsten Pflanzen sind die indische Indigofera, der (Japanische) Färberknöterich und Waid. Letzterer wurde in großen Mengen auch im mitteleuropäischen Raum angebaut. Die Stadt Erfurt erzielte bis ins 16. Jahrhundert hinein einen immensen Reichtum durch Anbau, Verarbeitung und Handel mit Waid.
Wir wollen herausfinden, wie man die blaue Farbe aus Pflanzen gewinnen kann. Angestachelt von den vielen Beispielen und Rezepten aus dem Altertum und Heute starten wir unseren nächsten Selbstversuch. Ein paar unserer Färberknöteriche an der GfZK gedeihen sehr gut und setzen aufgrund des milden Herbstes eine ordentliche Menge Samen an. Wir nehmen uns vor, den Anbau im kommenden Jahr zu wiederholen, nun im ländlichen Raum mit mehr Platz und der Idee, eine große Menge zu erhalten, um damit das Pigment zu gewinnen, mit dem Inga Kerber unsere im Flachsprojekt entstandene Leinwand bemalen kann.

Japanischer Färberknöterich

Unser eigenes Saatgut

Vor Glück über unser selbst gewonnenes Saatgut, überhasten wir die Vorgänge etwas. Wir können es nicht mehr erwarten unsere Saatkörner in die Erde zu bringen. Fahren mit Anzuchterde im Gepäck nach Belgershain und suchen uns 54 kleine Tontöpfchen. Im schönsten Sonnenschein hantieren wir im alten Glashaus der Gärtnerei, und betten in jedes Töpfchen drei Körner.
Eigentlich ist es zu früh. Das realisieren wir aber erst nach weiterer intensiver Lektüre verschiedener Seiten wie die der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V.
Zur Sicherheit holen wir alle Töpfe nach Leipzig, um die Anzucht in unseren Wohnungen zu begleiten. Es ist die Wärme und Feuchtigkeit, die aus jedem Töpfchen Keimlinge sprießen lässt. Das passiert so schnell, dass wir zusehen können. Wir hoffen sehr auf vitale, kräftige Färberknöteriche und sprechen den Keimlingen jeden Tag gut zu.
Leider überleben die zu frühe Anzucht nur ca. 25 Pflanzen. Das wird uns eine Lehre sein. Die Sonnenstunden reichen einfach noch nicht aus und künstliches Licht haben wir nicht in Betracht gezogen.

Samenstand

Samen des Japanischen Färbeknöterichs

Indigo – Ein Thema für sich

Um trotzdem eine Vielzahl Färberknöteriche auszupflanzen, bemühen wir uns um neues Saatgut. Hierzu kontaktieren wir Elke Fiebig. Sie betreibt das Blog: flora & farbe. Wir können über sie zwei Sorten Färberknöterich beziehen und auch in Austausch gehen. Sie ist eine Expertin in Sachen Knöterich und Färben mit Indigo.

Das blaue Wunder

Im letzten Jahr säten wir neben Färberknöterich auch Waid im Garten der Galerie für Zeitgenösssiche Kunst. Waid (Isatis tinctoria), so wird in diesem kleinen schmalen Buch klar, ist eine interessante Kulturpflanze. Es gibt über hundert verschiedene Waidarten. Insbesondere der Reichtum der Stadt Erfurt ist aus dem Waidanbau und -handel hervorgegangen. Zudem ist sehr informativ zu erfahren, dass es sich um eine geruchlich lästige Prozedur handelte den Farbstoff aufzuschließen. So olfaktorisch belästigend, dass man die Waidbauern bat, die Türen zu den Waidkammern am Sonntag zu schließen, um die Kirchgänger nicht abzuschrecken. Die aktive Geschichte des Waids ist dann auch schon im 18. Jahrhundert „auserzählt“, da die Monopolstellung für Indigofarbstoff an den indischen Indigo abgetreten wurde. Waid hat einen geringeren Indigoanteil als beispielsweise der indische Indigostrauch. Das Buch zeigt vielseitige Anwendungsfelder wie Holzschutzmittel, Kosmetik und ökologisches Bauen auf, was aus heutiger Sicht, im Sinne der Mehrfachnutzung, eine Chance für eine Rückkehr zum Anbau bedeuten könnte. Das Blau fiele dementsprechend als Beiprodukt ab und wäre nicht mehr Hauptbeweggrund.

Die ersten Pflänzchen

Im März zeigen sich sich die ersten Pflänzchen aus dem Saatgut von Elke. Da die Lichtverhältnisse besser sind, es einfach heller ist, können sich die Keimlinge besser entwickeln. Sie sind stärker und kompakter. Wir hegen und pflegen die Zöglinge und im April, ziehen sie um.

Erst einmal gewöhnen wir die Pflanzen an ein Leben an der frischen Luft. Auf dem Balkon mit Blick über Leipzig gedeihen sie prächtig. Sie wachsen zu stattlichen Jungpflanzen heran. Anfang Juni ist dann der große Tag gekommen. Ungefähr 50 jugendliche Indigoknöteriche reisen raus aufs Land. Wir fahren die Pflanzen nach Belgershain und bringen sie in die rurale Erde ein. Es ist fürchterlich trocken und wir sorgen uns um die Wasserzufuhr. Unser Gartenfreund Stephan Schürer gießt und gießt. Und wir tun dies auch wann immer wir in Belgershain sind.

 

Welch große Freude!

Ehrlich gesagt glauben wir nicht so richtig daran, dass unser Indigoexperiment bei solchen klimatischen Bedingungen gelingen wird. Die Zweifel werden genährt von verschiedensten Indigoliebhaber:innen weltweit. Überall wuchert der Färberknöterich in tropischen Regionen zu stattlichen Büschen. Nur bei uns sieht es kräpelig und wenig erquicklich aus. Zum World Localization Day führen wir unsere Besucher:innen über die staubtrockenen Flächen. Durch konsequentes und gezieltes Mulchen, können wir das Schlimmste verhindern. Die Pflanzen leben immer weiter und kämpfen sich tapfer durch den Sommer. Ende August sind wir alle aus den Sommerfrischen zurück und es beginnt eine Phase der Regengüsse. Erstaunlich schnell erholt sich der Knöterich. Er explodiert förmlich. Wir sehen ihm beim Wachsen zu und schöpfen neue Hoffnung. Alle Färber:innen um uns herum haben bereits geerntet und gefärbt und auch wir sind bester Dinge. Allerdings warten wir ab. Kümmern uns erst einmal um unsere Hanfernte. Mitte September sind überall auf dem Indigofeld Blüten zu sehen. Extrem pink aber auch weiß.
Eine Freude!

Lesen und Recherchieren

Wir lesen und recherchieren viel. Wir stoßen auf den Film „Indigo – A World of Blue“. Darin sind einige traditionelle Methoden aus Indien, Marokko und Mexiko zusammengetragen. Den Filmtipp erfuhren wir über Elke. In Sachen Indigo ist sie eine Beraterin von unschätzbarem Wert für uns geworden. Sie macht eine wirklich tolle Arbeit!

Buchtipps:

Ulli Beier: Ein Meer aus Indigo.
Kerstin Neumüller und Douglas Lubanko: Indigo. Anbau, Färbetechniken, Projekte

 

Färben mit der Salzmethode

Im August probieren wir mit einem kleinen Strauß frischer Blätter die Salzmethode zur Indigogewinnung. Die Herangehensweise studieren wir auf Elkes Blog. Darin verweist sie auf das Video einer Färberin aus der Nähe von Kyoto, wo diese neben anderen Methoden traditionell angewendet wird. Man braucht dafür nur die Blätter des Färberknöterichs und Salz. Beides vermengt und knetet man kräftig in einer Schüssel. Nach einer Weile beginnt aus den Blättern, durch die Reibung mit den Salzkörnern, Saft auszutreten. Das Stück Stoff – in unserem Fall ein altes Baumwolltaschentuch – wird nun zur Blatt-Salz-Masse hinzugegeben und der austretende Saft in den Stoff gerieben und geknetet. Der Saft wird von den Textilfasern aufgenommen und beginnt sie blau zu färben. Anfangs noch zart, und je mehr man knetet, intensiviert sich die Farbe. Der Farbton ist bei uns eher Petrol und geht stark ins Dunkelgrüne. Als wir das Gefühl haben, die Farbe ist intensiv genug, waschen wir das Taschentuch in Wasser aus und hängen es in die Sonne zum Trocknen. Sauerstoff trägt zur weiteren Intensivierung der Farbe bei.

Einfaches Verfahren

Die Salzmethode ist ein sehr einfach anzuwendendes Verfahren. Es macht Spaß, weil man schnell zu einem sichtbaren Ergebnis kommt. Wie haltbar die Farbe ist, wissen wir allerdings nicht. Verschiedene Quellen berichten, dass das Textil im Vorhinein mit Sojamilch behandelt werden kann, um somit den Farbton längere Zeit zu erhalten. Das möchten wir beim nächsten Mal ausprobieren. Wenn wir die Salzmethode mit den Blättern von Waid anwenden. Das geht nämlich auch, wie unsere Färbefreundin Saori Kaneko zu berichten weiß.

Aus der Pflanze wird Pigment

Im Oktober sieht der Färbeknöterich so füllig und stark aus, dass wir entscheiden in den Prozess der Pigmentgewinnung zu gehen. Am 7. Oktober ernten wir die knackigen, saftigen Pflanzen. Es sind doch eine Menge Stängel samt Blattwerk zusammengekommen. Unser grüner Strauß ist mit zwei Händen kaum zu halten. Eine ähnlich große Menge lassen wir noch stehen. Zum einen möchten wir die Saatkörner ausreifen lassen. Und zum anderen können die Pflanzen so weiter wachsen, um uns demnächst eine zweite Ernte zu ermöglichen.

Relativ frisch entblättern wir die Stängel. Wir weichen die Blätter in einem Eimer in Wasser ein. Beschweren das Ganze und warten ab. Auch die Methode haben wir bei Elke gelesen und halten uns akribisch an ihre Hinweise.
In den ersten drei Tagen auf dem Balkon bleibt das Wasser klar. Es passiert einfach nichts. Das lässt uns etwas alarmiert den Eimer in die Wohnung umziehen. Interessant ist, dass unsere entblätterten Stängel schon nach drei Tagen im Wasserglas stattliche Wurzeln ausbilden. Was für eine Pflanze! Einfach toll. Damit haben wir schon Stecklinge für die nächste Textilgartensaison in petto.

Ein bisschen wie Grüner Tee

Und tatsächlich beginnt die Eintrübung des Wassers am 4. Tag des Fermentationsprozesses. Es riecht wunderbar frisch und grün, ein bisschen wie Grüner Tee. Aber blau oder türkis oder irgendwas dergleichen ist nicht zu entdecken. An Tag 5 beginnt das Wasser an der Oberfläche Blasen zu zeigen. Das ist ein gutes Zeichen. Wir nähern uns dem Pigmentprozess.  Tag 6, 13. Oktober: Die Oberfläche schimmert metallen. Das Wasser ist nun bläulich türkis. Große Freude!

Hochgradig ätzend!

Wir laufen schnurstracks zur nächsten Apotheke und besorgen uns Lacmustestpapier. Denn, wie wir von Elke gelernt haben, müssen wir stetig den PH Wert bestimmen, um zu unserem Blaupigment zu kommen. Zudem gehen wir auf die Suche nach Calciumhydroxyd. Und werden bei streichgut auf der Leipziger Baumwollspinnerei fündig. Dort füllt man uns 1kg Weisskalkhydrat in einen Papierbeutel ab. Das Zeug ist hochgradig ätzend. Dementsprechend präparieren wir uns für den Prozess mit Handschuhen, Sonnenbrillen und Atemschutzmasken.

Der Pigment-gewinnungsprozess

Los geht’s. Der aufregende Pigmentgewinnungsprozess startet. In einem kleinen Gläschen machen wir den Test. Und schon zu diesem Zeitpunkt wird uns bewusst, dass es sich hier um einen wirklich magischen Vorgang handeln muss. Wer in Gottes Namen hat sich das nur einfallen lassen?! Am oberen Flüssigkeitsrand schimmert ein fast fluoreszierender türkiser Farbstreifen. Unfassbar schön. Wir geben eine Löffelspitze Weisskalkhydrat hinzu und schütteln kräftig. Sofort färbt sich der Schaum blau.

Das ist unser Startzeichen. Wir seien das Wasser aus dem Eimer in ein Glasbehältnis. Die verblieben Blätter sind noch recht grün und wirken frisch. Für sie wird es in eine zweite Fermentationsrunde gehen (siehe unten).
Die Flüssigkeit im Glasbehältnis wird nun Löffelspitze für Löffelspitze mit Weisskalkhydrat angereichert. Wir rühren als würden wir Eischnee produzieren wollen. Das Ganze sieht auch fast so aus. Als der permanent überwachte PH Wert bei 11 landet, rühren wir nochmals kräftig und stoppen die Kalkzugabe. Nun heißt es wieder Warten. Indigo braucht Zeit. Das vom Kalk gebundene Pigment muss sich langsam am Boden absetzen.

Es wird blau

Zwei Tage später ist die Flüssigkeit noch immer sehr dunkelblau, fast schwarz. Aber am Boden des Gefäßes ist ein Bodensatz sichtbar, der etwas heller ist als das Dunkelblau der Gesamtflüssigkeit. Vorsichtig schöpfen wir das Wasser nun mit einer Kelle durch einen Kaffeefilter, um ja kein einziges Pigment zu verlieren! Erste blaue Klümpchen sammeln sich an der papiernen Wand des Filters. Das Restwasser muss mit Tafelessig neutralisiert werden. Erst dann darf es in den Ausguss geschüttet werden. Am Ende sammelt sich der mit dem Kalk gebundene Farbstoff als kleine petrolblaue Pfütze am Boden des Kaffeefilters. Mit dem Finger machen wir ein paar Farbtests auf weißem Papier: die Farbe erscheint eher grünblau.

Das Pigment ist gewonnen!

Wir lesen, dass der Grund dafür wahrscheinlich der etwas zu späte Erntetermin war. Im nächsten Jahr werden wir auf die Färbung der Blätter genauer achten müssen. Bis zum nächsten Tag trocknet die Masse. Das Pigment ist nun gewonnen!

Wir sind einigermaßen beeindruckt von der geringen Menge, weil wir wieder einmal verstehen, wie aufwendig die Vorgänge um das Färben eigentlich sind und wie wertvoll gefärbte Textilfasern doch sind. Wir schrauben das Gläschen mit dem getrockneten Pigment feierlich zu, über alle Maßen beglückt über unseren erfolgreichen Test.

Im Eimer warten nun noch die Blätter für die zweite Fermentierung. Das Wasser schillert wieder ein paar Tage später und riecht frisch nach Matcha. Doch leider bleibt dieser Versuch ohne blauen Erfolg. Die zweite Prozedur endet mit brauner Brühe und weiß gebliebenen Weisskalkhydratpartikelchen am Boden.

DANKE Simul+ Mitmachfond!

Dieses Projekt konnten wir mit Hilfe von Mitteln des Simul+Mitmachfonds umsetzen.

März bis Oktober 2022

Projekt

Textilgarten 2022

Faser- und Farbpflanzenanbau auf dem Lande

MÄRZ 2022

Belgershain wir kommen.

2022 lautet die Devise Raus aufs Land! Nach einem Gartenjahr im urbanen Raum testen wir unter realen Bedingungen das Faser- und Farbpflanzenwachstum auf dem Land. Genauer in Belgershain, ein kleiner Ort im Südraum von Leipzig. Nunmehr wöchentlich fahren wir nicht ans Beet, nein! Ans Feld. Der Boden liegt frei. Er wurde von unserem freundlichen Bauern Tripke grob gepflügt und des Weiteren sanft gefräst. Wir bereiten nun jede Woche mindestens einmal die Grundlage für unseren Textilgarten vor.
Dazu gehört die Konzeption und Komposition der Färbepflanzen auf ca. 200 Quadratmetern und die Ordnung auf dem dahinter liegenden Faserpflanzenfeld. Dort wo wir Flachs aussäen werden, gibt es zahlreiche Pflanzenkulturen, die den Flachs in der Anfangsphase am Wachstum hindern könnten. Wir wühlen in der Erde und machen uns genüsslich die Finger schmutzig. Mit uns arbeiten zahlreiche Regenwürmer.
Es ist warm in diesem März. Die Hummeln, Steinbienen und Erdbienen brummen lautstark. Wir holen uns mehrfach Sonnenbrände und hören in die Kirschpflaumenbäume hinein. Genießen das sonnige Wetter und beginnen die Trockenheit zu fürchten. Wir wollen permakulturell arbeiten, das heißt unter anderem ohne künstliche Bewässerung. Die trockene Krume wird durch Windböen abgetragen. Dagegen helfen wir uns mit Mulch.

Boden Belgershain unbearbeitet

Unser Farbgarten nach Itten

Am 25. März starten wir mit der Aussaat der ersten Färbepflanzen. Unser Farbgarten ist eine Komposition à la Johannes Itten. Wir gruppieren Blau blühende, Gelb blühende und Rot blühende Pflanzen im Kreis. Den Färberwaid hätten wir schon im tiefsten Winter ausbringen können. Historisch wurde das Saatgut bereits im Januar in die Erde gegeben. Auch der Färberwau, Färbemeister, der Färbeginster, die Färberhülse, das Labkraut, der Rainfarn, die Wegwarte und die Stockrose kommen nun in unseren Boden. Fasziniert sind wir wie schon in der letzten Gartensaison von der mannigfachen Formenvielfalt des Saatgutes. Beim Waid könnte man meinen, die Saat verweist auf die spätere Optik der ausgewachsenen Pflanze. Immer wieder dieses Staunen über die Kleinheit der Körner und die Intensität der daraus wachsenden Biomassen.

Färberwaid

Färberwau

Färbermeister

Färberginster

Färberhülse

Rainfarn

Wegwarte

Schwarze Stockrose

Die Große Brennnessel

Stephan Schürer überzeugt uns davon, die Große Brennnessel vor Ort zu nutzen, um unser Fasernesselexperiment durchzuführen. Wir siedeln drei gefüllte Schubkarren Urtica Dioica um.
Parallel meldet sich Anna Kurbasik per Mail. Sie hat vor geraumer Zeit eine Masterarbeit im Fachbereich Agrarwissenschaften zur Thematik Fasernessel verfasst. Wir lesen gespannt und lernen, dass die gemeine Urtica Dioica nur einen Fasergehalt von 7% um ihre Stengel wachsen lässt. Es gibt extra gezüchtete Fasernesseln, die eine Höhe von bis zu 4 Metern erreichen. Der Fasergehalt liegt hier bei 17%. In einem angeregten Gespräch über Faserpflanzen tauschen wir uns mit Gaby Weihrauch darüber aus. Sie wird uns die Fasernesseln zur Verfügung stellen. Sobald die Pflanzen sichtbar werden, kümmern wir uns um ein Umbetten nach Belgershain.
Die Wurzelnetzwerke, die die Urtica Dioica ausbildet sind einfach unglaublich. Gleich eines Teppichs unter der Erde wuchert die Große Brennnessel auch unter unserem zukünftigen Flachsfeld.

APRIL 2022

Gleich am 1. April geht es wieder raus aufs Feld. Mit dabei unsere Textilfreundin Henrike Schmitz. Sie ist Textildesignerin und hat Lust auf dem Acker zu helfen. Wir müssen uns sputen. Der Boden muss vorbereitet werden. Es ist richtig kalt heute, und nachdem wir schon mehrere Stunden unsere Kräfte eingesetzt haben, die Quecke aus dem Boden zu holen und das Feld umzugraben, beginnt es tatsächlich zu schneien. Das muss uns egal sein, nächste Woche wollen wir den Flachs in die Erde bringen.
Wir sind überglücklich, denn uns erreicht das Faserhanfsaatgut USO 31 von Herrn Bührer von der Bafa Neu GmbH. Er hat uns im Januar zu möglichen Hanfsaaten beraten. USO 31 bezeichnet er als unproblematisch und übersendet uns 1kg Saatgut plus Zertifikat. Wir möchten ungern besorgte Bürger:innen aufregen, dafür ist ein Zertifikat, welches die psychoaktive Unwirksamkeit unseres Nutzhanfes bestätigt, absolut hilfreich. Schön sehen sie aus die Körner und schmackhaft sind sie auch, wie wir probieren können. Eigentlich verkauft Herr Bührer nur 25kg Säcke. Das würde allerdings unseren Rahmen sprengen. Umso dankbarer sind wir für die kleine Testmenge. Am 5. April kommen wir mit einem Mitarbeiter der AGIL Sachsen in Belgershain zusammen. Die AgiL – Sächsische Agentur für Regionale Lebensmittel wurde 2022 gegründet und hat die Aufgabe den Aufbau regionaler Wertschöpfungsketten in Sachsen zu unterstützen. Nach einem Gartenrundgang unterhalten wir uns mit Dr. Wolfram Dienel und den Belgershainer Gärtnernden Inga Kerber, Stephan Schürer, Matthias Vialon und Didi Alamsyah über unser Tun in der Gärtnerei Belgershain.

Leinsamen kommen in die Erde

Freitag ist nun etablierter Textilgartentag im Hause lokaltextil, und am 8. April ist ein solcher Freitag. Für uns ein besonderes Datum, denn nun kommen die Leinsamen aus der Stadtmitte in den Belgershainer Boden. Uns begegnen Regenwürmer aller Formen und Farben. Lieben wir sehr! Auch andere spannende Tierchen zeigen sich. Unter anderen die Rote Samtmilbe. Sie leuchtet Neonrot und ist eine nützliche Feldfreundin, da sie sich von Schneckeneiern und Läusen ernährt. Mittels eines von Stephan Schürer geborgten Werkzeuges, furchen wir unsere 250qm Flachsacker. Und dann kommt er wieder, der schöne Moment der Aussaat. Reihe für Reihe lassen wir die Leinsaat in die Erde perlen. Reihe für Reihe geben wir Belgershainer Erde über die Saat. Es ist eine anstrengende Arbeit. Die ganze Feldarbeit ist unfassbar körperlich fordernd. Das einmal zu erleben, können wir nur empfehlen. Unser Respekt vor den Bäuer:innen nimmt stündlich zu. Nun ist das Saatgut in der Erde und für uns heißt es mal wieder Reinhard Ruta zitieren, denn: LEINEN BRAUCHT ZEIT (Interview mit Herrn Ruta).

Traktorfahren!

Um zu verstehen, wie Landwirtschaft heute tatsächlich funktioniert, dürfen wir Herrn Tripke besuchen. Er ist seit 17 Jahren Biolandwirt und baut unweit unseres Linum Usitatissimum Feldes Öllein an. 14 Hektar insgesamt. Das ist natürlich großartig. Seine Landmaschinen sind riesengroß. Wir dürfen mit dem Traktor mitfahren. Zu unserem Glück gibt uns Herr Tripke sogar Ölleinsaatgut ab. Lena kriecht in den roten Trichter und sammelt die blanken Leinsamen für unser Beet an der Galerie für Zeitgenössische Kunst. Ein Kreuz und Quer von Urban und Rural. Ganz in unserem Sinne. Danach geht es mit unseren Krapppflanzen zum Farbgarten. Sie kommen heute in den Boden und wir sind guter Hoffnung, dass sie sich wohlfühlen.

Flachskeimlinge und Waidzauber

Am 20. April, 12 Tage nach Aussaat, erblicken die ersten Flachskeimlinge das Tageslicht in Belgershain. Herrlich! So viele Schritte sind wir gegangen vom Leinsamen zur Leinwand und wieder von vorn. 
Auf unserem Färbebeet in der Stadtmitte explodiert derweil der Waid. Unfassbare Größen und strahlend gelbe Blüten nimmt er an. Auch das entstehende Waidsaatgut bekommt eine Zukunft. Das heißt Saatgutaktivismus. Es geht um gemeinschaftliches Besitzen und Beschützen der lokalen und globalen Saatgüter. Finden wir richtig und gut.

Mai 2022

Trockenheit und Hanftaussaat

Im Mai sehen wir uns mit vielerlei Realitäten konfrontiert. Wasser. Wir brauchen Wasser und es will einfach nicht regnen. Der April war so trocken, dass unser Flachs nur mühsam voran kommt. In Brandenburg hat es keinen Tropfen geregnet. Und auch in Belgershain ist die Erde bröselig und ausgedörrt. Am 6. Mai fahren wir gemeinsam mit unserer Gartenfreundin Christine Brauns auf unser Feld. Jetzt ist es Zeit den Faserhanf auszubringen. Doch vorher muss der Acker nochmals umgegraben und ein bisschen Ordnung geschaffen werden. Die Sonne brennt. Wir arbeiten unermüdlich. Am Ende des Tages haben wir die Hanfsaat in die Erde gebracht. 250 qm Spannung.

erste Pflänzchen

In den letzten Monaten trafen wir immer wieder Menschen, die von Nutzhanf begeistert waren. Mal sehen, was wir herausfinden werden. Es dauert in jedem Falle nicht sehr lang, und Stephan Schürer sendet uns ein Foto auf dem mehrere sehr gut genährte Ringeltauben ihre Schnäbelchen in unser Feld stecken. Genüsslich picken sie ein Hanfsaatkorn nach dem anderen aus der Erde. Wir wissen ja wie gut das schmeckt und schreiben alarmiert unserem Hanflieferanten Herrn Bührer. Ja, schreibt er, die Vögel lieben das Saatgut. Uns bleibt wie immer nur die Hoffnung, dass ein paar Samen durchkommen. Das tun sie.
Nur sieben Tage nach Aussaat können wir die ersten Pflänzchen sichten. Wahnsinnig schnell wachsen sie in die Höhe. Es fühlt sich an, als wenn wir zusehen könnten.

Oh, ein Floh!

Die nächste Realität erwartet uns auf dem Flachsfeld. Wir sehen an nahezu allen kleinen Flachspflänzchen kleine schwarze, glänzende, springende Tiere. Der Erdfloh macht unseren Flachskindern das Leben schwer. Er saugt an den Wurzeln, trinkt aus ihnen. Das wird sichtbar in Form von angeknabbert aussehenden Blättchen. Wir fahren ans Feld von Bauer Tripke und sichten auch dort Erdflöhe en masse. Wir setzen eine Brennnesseljauche an, um zu testen, ob der Erdfloh mit ihrer Hilfe verschwindet. Auch die Quecke wuchern. An der ein oder anderen Stelle wirkt es allerdings, als ob unser Flachs den Schatten genießt. Es bleibt spannend und wir sind im Forscherinnenmodus. Mitte Mai hat unser Flachs trotz Erdfloh und Trockenheit eine stattliche Höhe von 12 cm. Wir hoffen auf ein mutiges Weiterwachsen.

Vorbereitungen für den World Localization Day

Der Mai steht auch im Zeichen der Vorbereitungen zum World Localization Day. Bei Apfler sitzen wir gemeinsam mit Matthias Vialon und Stephan Schürer an den Planungen für unser erstes local feast in der Gärtnerei Belgershain. Es wird um slow flowers, slow food und slow textiles gehen. Die Geduld und Langsamkeit und das achtsame Anlegen von Gärten stehen für uns im Fokus. Die Localization, die Lokalisierungsbewegung findet global immer mehr Anhänger. Den Boden vor Ort zu bestellen und mit den Gegebenheiten im Einklang klug Erträge zu erbringen, gehört zur Philosophie. Das ist ganz im Sinne von lokaltextil. Wir denken vom Feld bis zum Produkt in lokalen Wertschöpfungsketten und freuen uns um so mehr, Teil dieser weltweiten Gruppe zu sein.

Endlich Regen!

Mitte Mai beehrt uns der Regen. Reichhaltig füllt er die Regenwasserreservoire in der Gärtnerei. Das ist eine Freude. Die Flachsjugend wächst über die Quecke hinaus und auch der Faserhanf jagt förmlich aus der Erde (52_). Wann immer wir den Garten sehen, sieht er wie verwandelt aus. Es grünt so grün. Mitte Mai kommt auch das Saflorsaatgut carthamus tinctorius (Färberdiestel) in die Erde (53_). Und die von Stephan Schürer liebevoll angezogene Färber-Scharte serratula tinctoria wird eingepflanzt und achtsam ummulcht (54_). Es regnet nun immer wieder gen Maiende, was allen Pflanzenfreunden sichtlich behagt. Vielleicht ein bisschen zu sehr.

Juni 2022

Alles sprießt und wächst

Anfang Juni besuchen wir unseren Textilgarten und erkennen ihn kaum wieder. Es wächst und sprießt, wuchert und quillt an allen Ecken und Enden. Unglaublich zu welcher Wachstumskraft dieser 10 Jahre brach liegende Boden fähig ist. Topinambur begrüßt uns anstelle der mühsam umgesetzten Brennnesseln. Die Fasernessel überwachsen von Ackerschachtelhalm, Ackerkratzdiestel, Gemeiner Karde, Ackerwinde, Quecke, wohin das Auge blickt Quecke überall.
Unser urbaner Flachs kämpft im Juni um jeden zu wachsenden Zentimeter. Er hat es schwer. Erdfloh und Trockenheit und alle Pflanzensaaten, die der 10 Jahre brachliegende Boden noch in sich trug, wetteifern mit unseren sanften Stängeln. Am 10. Juni 2022 trifft sich eine Gruppe von Helfer:innen und fast das gesamte lokaltextil Team zum Gärtnern.

Bei unfassbar hohen Temperaturen arbeiten wir einzelne Pflanzen heraus, um ihre Sichtbarkeit zu fördern. Das gelingt Gartenfreundin Katlin Ertel mit mehreren Flachsreihen ganz wunderbar. Henrike Schmitz greift in der Mittagshitze mit ein und gen Nachmittag kommt Frieder Weißbach dazu. Mitgebracht hat er eine motorisierte Sense. Er sorgt für eine ansehnliche Kontur und Flachs, Hanf sowie der Farbgarten erstrahlen in präsentationswilliger Optik. Wir stellen zum Verständnis kleine Schildchen auf, denn am 11. Juni wird in Belgershain groß gefeiert. Es ist unser erstes gemeinsames Fest in der Gärtnerei Belgershain. Gartentour, Kuchen, Limonade und ein wunderschönes Dinner machen den Tag zu einem rundum gelungenen Erlebnis für uns und alle geladenen Gäste. 

Klicke hier, um mehr über die Veranstaltung zu lesen.

Flachspflanze
Foccaccia

WLD die Zweite

Am 21. Juni laden wir wieder zum World Localization Day ein. Diesmal kommt das Land in die Stadt. Unter dem Motto „Slow Down – Ein Fest zu Ehren der Langsamkeit“ läd lokaltextil mit weiteren Prodagonist:innen in den Garten der GfZK. Die Gärtnerei Belgershain präsentiert ein Blumenmeer und Foccaccien bestückt mit lokalen Gemüsebildern. Dazu gibt es Drinks mit heimischen Kräutern und Blüten.

Auch dazu finden sich hier einen Beitrag.

 

Es bleibt trocken und heiß.

Es bleibt unfassbar trocken. Und die Hitze will nicht aufhören. Unser Flachs hat bereits geblüht. Er ist in diesem Jahr, verglichen mit dem Standort an der GfZK im letzten Jahr, nur halb so hoch gewachsen. Wir werden die Bollen ausreifen lassen und als Saatgutspender für die nächste Textilgartensaison nutzen.
Unfassbar begeistert sind wir von unseren Nutzhanfpflanzen. Sie trotzen wirklich allem. Da windet sich die Ackerwinde um die Stängel, der Hanf wächst trotzdem stark und stolz weiter. Es fällt kaum ein Tropfen vom Himmel, den Hanf ficht das nicht an. Er schnellt in die Höhe und entwickelt sich prachtvoll. Einfach unglaublich. Wir sind von der unbeirrten Wachstumskraft mehr als überzeugt und gespannt in welche Höhen noch geklettert wird.
In Gesprächen mit verschiedenen Landwirten entscheiden wir uns für einen Erntetermin im September. Der Nutzhanf ist eine sogenannte Multi-Purpose-Pflanze. Ähnlich wie beim Flachs, lassen sich sehr viele Produkte aus der einzelnen Pflanze gewinnen. So zum Beispiel Hanföl, Hanfsaat, Hanffaser und Zellulose. Vergleichbar mit unserem Flachs, der während der geschlossenen Wasserröste in Zittau nutzbare Säuren freigibt und Pektine, verhält es sich auch mit dem Hanf.

Juli 2022

Im Juli werden wir von der sächsischen Wirtschaftsförderung zur Konferenz Techtextile Nachhaltigkeit nach Crimmitschau in die Tuchfabrik Pfau eingeladen. Auch dort sprechen viele Akteur:innen von der Hanfchance. Nicht nur die Ergebnisse aus den Pflanzen sind reizvoll. Auch die Resilienz in Bezug auf Wasserversorgung und nebenan wachsenden Pflanzen, sowie die Carbonfarming-Qualitäten sprechen für diese Nutzpflanze. Hanf verbessert zudem die Bodenqualität. In einem interessanten Vortrag, erfahren wir von der Möglichkeit Winterhanf anzubauen. Eine echte Zukunftschance, das findet auch Rainer Nowotny vom Unternehmen Hanffaser Uckermark. Er beschäftigt sich nun schon seit 25 Jahren mit Hanf als Baustoff und berichtet mitreißend über sein Tun.

Am 7. Juli regnet es stark in Belgershain. Wir machen uns auf den Weg unsere Pflanzenfreunde zu besuchen. Die Feuchtigkeit tut allen gut. Wir treffen auf recht saftig stehenden Knöterich. Sind ganz aus dem Häuschen, da unser Waid grüne und sehr starke Blattrosetten ausgebildet hat. Und wieder eine Erkenntnis: Die Färberdiestel Saflor wächst unbeirrt und stark. Wir können also zusammenfassen. Hanf, Saflor und Waid gedeihen auch in unwirtlich trockenem Klima ohne viel Zutun und ohne beständiges Wässern.
Am 8. Juli zieht es uns zu unserem kleinen Feld an der Galerie für Zeitgenössische Kunst. Wir ernten Waidsaatgut für die nächsten Vorhaben. Das Saatgut sieht wunderschön aus. Es hängt aufgereiht wie ein zarter Schmuck an den Stängeln und lässt sich sanft abstreifen. Wir befüllen Glas um Glas. Das Saatgut changiert in den schillerndsten Tönen. Der Indigogehalt ist nahezu in jedem Saatkorn zu erkennen. Mal intensiv fast violett-schwarz und dann wieder grünlich-lila schimmernd.

Saflor

selbstgeerntetes Waidsaatgut

August 2022

Ferienzeit = Wachstumszeit

Wir sind im August in den lokaltextil Ferien.
Und trotzdem immer mal wieder in Belgershain.
Unser Hanf ist eine Freude!
Fast drei Meter hoch, stark, sich im Wind wiegend.
Und parallel lesen wir das Buch „Hanf – Ein Porträt von Ute Woltron“.
Sie bringt es schon auf Seite 9 auf den Punkt.

Wir zitieren:
„Da nichts über gärtnerische Experimente geht, das Grundstück zudem groß und nicht einsehbar ist und die Neugierde Wurzeln schlug, durfte der kleine Hanf bleiben. Das vitale Grünzeug sorgte für weitere Überraschungen. Er wuchs binnen der wenigen ihm zur Verfügung stehenden warmen Monate in bemerkenswerter Geschwindigkeit zu einer baumartigen, mehr als drei Meter hohen Pflanze mit kräftigem holzigen Stängel und lebhaft im Wind raschelnden Fingerblättern heran. Die Pflanze stellte schon bald alles in ihrer unmittelbaren Umgebung in ihren Schatten. Lediglich die großwachsenden Sorten der Sonnenblumen konnten halbwegs mithalten. Ein erstaunliches Gewächs war dieser artfremde Kerl allemal, wie er da zwischen gutbürgerlichen Rosenbüschen, Dahlien und Lavendel in die Höhe schoss.“

Bei uns ist es kein Zufall. Wir haben uns bewusst für die Nutzhanfsamen entschieden. Diejenigen, welche nicht der Ringeltaubenverköstigung zum Opfer fielen, durften von Beginn an ohne Frage bleiben. Auch wir sind allerdings überrascht von der Kraft und Geschwindigkeit der Pflanzen. Sind angetan von der tänzerischen Bewegung der Stängel. Überzeugt von der Wuchshöhe. Wir empfinden die Pflanzen als Geschenk dieses eigentlich so kargen, dürren und heißen Sommers. Der Hanf kann in unseren Augen unglaublich viel. In Belgershain sind nur die Topinamburpflanzen ähnlich kraftvoll in die Höhe geschossen. Das Ansinnen aus ganzheitlicher Nutzung erfüllt hingegen eben nur unser schöner starker Hanf. Samen, Bienenweide, Carbon-Sauger, Faserspender, Ölgeber. Holistischer geht es kaum. Und gutbürgerliche Dahlien gibt es auch im Belgershainer Garten. Liebevoll nennen wir die Pflanze Klassenbeste. Und bewegen uns aufgeregt auf den Erntemonat September zu.

September 2022

Hanfernte

Der September wird wieder interessant. Es ist Erntezeit. Und wir schärfen unsere wundervollen japanischen Sicheln. Am 9. September fahren wir nach Belgershain. Wir FÄLLEN unseren Hanf. Pflanze für Pflanze im Beisein unserer wunderbaren Gartenfreundin und Fotografin Anne Schwalbe, die uns mehrmals still stehen läßt, um Erntebilder einzufangen. Der Hanf, Sorte USO 31 ist teilweise 3,5m hoch geschossen. Wir haben ihm nur den Boden bereitet, kein extra Wasser, keine Düngung, einfach wachsen lassen. Alles durfte passieren und vieles ist auch passiert. Die Ernte verläuft entspannt und sonnig. Wir ernten Stängel für Stängel, häufen riesenhafte Hanfsträuße an und schaffen es in gerade so sechs Stunden und mit zusätzlicher Hilfe alle brauchbaren Pflanzen zu sammeln.

Saflorsamen unter der Lupe

Auch die Saflorsamen nehmen wir unter die Lupe. Interessanterweise reifen in einer einzigen Blüte bis zu 19 Saatkörner. Wir haben lediglich 25 Samen in den Boden gegeben und es ist erstaunlich, wie auch die Färberdiestel ohne Extrabewässerung und Pflege in die Höhe wächst. Unser Resilienztest im ländlichen Raum ist sehr aufschlussreich. Etwas bedrückt sind wir von der „Schwäche“ des urbanen Flachses. Er stagniert und gibt sozusagen auf. Zu wenig Platz hat er zwischen all den Beikräutern. Er wurde verdrängt und kleingehalten. Der Blüte im sehr kurzgewachsenen Stadium folgt die Ausbildung von Bollen, die ihrerseits nur spärlich und auch nicht sehr vitales Saatgut enthalten. Ergo Flachs ist um Längen empfindlicher als Hanf und benötigt unbedingte Beikrautkontrolle sowie ein stetiges Wässern. Der Knöterich hingegen beginnt zu wuchern. Die Regensituation im September ist förderlich und alle Pflanzen auf dem Feld gedeihen kräftig. Es zeigen sich erste Blüten in starkem Pink aber auch weiß. Im Oktober wagen wir uns ans Experiment Indigoextraktion. Bis dahin soll unser polygonum tinctorium noch kräftig und saftig wachsen.

Unsere Hanfstängel geht auf Reisen

Eine Woche nach der Ernte geht es dann mit den Hanfernteerträgen Richtung Zittau. Matthias Tirsch und Andreas Elvermann vom LaNDER³ – Projekt sind fleißig am Faseraufschließen. Wir besichtigen wunderschöne Hanffasern. Aber auch dem Flachs wurde in letzter Zeit viel Aufmerksamkeit geschenkt. Andreas Elvermann schwärmt mittlerweile genauso intensiv von den Flachsfasern wie von den Hanffasern. Wir hoffen auf gute Erträge, wobei unsere Hanfstängel als gar nicht so groß bezeichnet werden.

Zurück in Leipzig dürfen wir voller Freude erfahren, dass wir im nächsten Jahr unseren Textilgarten im urbanen Raum ausweiten können. Es gibt eine Fördersumme vom simul+Mitmachfond, die uns dabei unterstützt. DANKE dafür! Wir sind jetzt schon gespannt, wie sich die ländlichen Saaten zurück in der Stadt entwickeln werden. TEXTILGARTEN 2023 wir kommen!!!

Oktober 2022

Saflorsaatgut

Am 7. Oktober reisen wir früh nach Belgerhain. Strahlend blauer Himmel, Sonne wie im Frühsommer. Wir wollen Saflorsaatgut ernten. Die Färberdiestel ist nun schon eine Weile verblüht. Wir hätten früher kommen sollen, um effektiver ans Saatgut zu gelangen. Jetzt sind viele der Körner schon aufgebrochen und manche haben begonnen zu keimen. Trotz dieses etwas ernüchternden Zustandes ernten wir fast 50 welke Blütenköpfe und befreien die noch geschlossenen, sehr schön pyramidenartig geformten weißen Saaten.  Die Färberdiestel bettet ihre Nachkommen in einer Art faserigen gemütlichen Samenhaarnest. Die Sortierung beschäftigt uns noch mehrere Tage.

Färberknöterich

Bevor es zurück nach Leipzig geht, pflücken wir endlich die Färberknöterich-Stängel. Sie brechen leicht und wir lassen immer auch blühende Pflanzen zurück. Auch hier geht es uns darum Saatgut zu gewinnen. Da wir den Pflanzenblättern mittels Fermentation den Indigofarbstoff entlocken wollen, pflücken wir einen stattlichen Strauß. Zurück in der Stadt werden die Stängel entblättert. Die Reste heben wir auf und wollen Wurzelbildung beobachten. An einem sonnigen Ort, in Weckgläsern versorgt mit frischem Wasser, beginnt die Wurzelbildung nach nur drei Tagen.
Unsere Indigoblätter kommen zum Fermentieren in einen Eimer. Mit Wasser bedeckt sollte der Prozess nach sechs Tagen vollzogen sein.

Ein weiteres Gartenjahr geht zu Ende

Wir verabschieden uns von der Fläche in Belgershain und den darauf zurückbleibenden Pflanzen. Wir haben dieses Jahr wieder viel gelernt und sagen DANKE Belgershain! Im nächsten Jahr geht unser Textilgartenprojekt dann in die dritte Runde. Zurück in die Stadt lautet die Devise für 2023. Zurück an die Galerie für Zeitgenössische Kunst.

Hier geht es zu unserem Leinen-Projekt: „Von der Pflanze zur fertigen Leinwand in einem Jahr.“

DANKE Simul+ Mitmachfond!

Dieses Projekt konnten wir mit Hilfe von Mitteln des Simul+Mitmachfonds umsetzen.